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Bis dahin nehme ich mir auf ärztlichen Rat hin die Zeit, mich von meiner Corona-Infektion zu erholen.

ZEIT online: “Sorry, aber Du hast leider keine Personality!”

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“Herausforderung”, “abliefern”, “professionell”. Was die Sprache in “Germany’s next Topmodel” bewirkt, erklärt Ann-Marlene Henning, die als Psychologin und Model arbeitet.

ZEIT ONLINE: Frau Henning, wenn man die Sprache bei Germany’s next Topmodel näher betrachtet, könnte man denken, man befinde sich in einem Manager-Seminar.

Ann-Marlene Henning: Modeln ist ein hartes Geschäft. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Es ist eine Ellenbogen- und Leistungsgesellschaft. Man steht vorne und lächelt, man muss seine Aufgaben meistern. Insofern passt diese Geschäftssprache absolut zum Berufsbild.

ZEIT ONLINE: In den ersten Staffeln von Germany’s next Topmodelhaben die Kandidatinnen noch relativ normal gesprochen, inzwischen scheinen sie das Casting-Vokabular verinnerlicht zu haben.

Henning: Mir ist in der letzten Staffel aufgefallen, dass die Kandidatinnen konditioniert wirkten, als ob man ihnen bestimmte Begriffe antrainiert hätte. Diese ganzen englischen Wörter wie “Live-Walk”, “Challenge”, “Deal”, “Heute war meine Performance nicht so gut”. So etwas sagt kein Mensch, es sei denn, er hört es ständig oder ihm wird gesagt, dass er so sprechen soll.

ZEIT ONLINE: Neben Ihrer Arbeit als Therapeutin arbeiten Sie seit 30 Jahren als Model – ist diese Art der Beurteilung, wie wir sie bei Heidi Klum sehen, realistisch oder eine Fernseh-Erfindung?

Henning: Es ist genau so! Grundsätzlich ist so eine Crashkurs-Ausbildung ja gar nicht schlecht. Mir hätte es sehr geholfen, wenn ich mit Anfang 20 die Möglichkeit gehabt hätte, zu trainieren, worauf man als Model achten muss. Aber das sogenannte Coaching bei Germanys next Topmodel finde ich menschenfeindlich. Es gibt niemanden, der diese jungen Frauen unterstützt und aufbaut, statt ihnen immer nur auf den Kopf zu hauen. In der amerikanischen Originalversion von Tyra Banks ist das ganz anders.

ZEIT ONLINE: Inwiefern?

Henning 
: Dort sind die Moderatoren viel freundlicher zu den Kandidatinnen, das gilt auch für American Idol , die amerikanische Version von Deutschland sucht den Superstar ( DSDS ). Ich habe vor Kurzem mit meinem Freund die dänische Version von DSDS gesehen, auch dort gingen die Moderatoren ganz liebevoll mit den Kandidaten um.

ZEIT ONLINE: Warum ist das in der deutschen Version anders?

Henning: Es liegt meiner Meinung nach an einem schlechten Selbstwertgefühl. Das fällt dann auf, wenn es um Hierarchien geht oder das Bestimmen über andere. Wenn der andere schlecht ist, kann ich ja besser sein. Und mich besser fühlen.

ZEIT ONLINE: Hat sich das Casting-Show-Prinzip schon auf unser normales Leben übertragen?

Henning: Ich glaube schon. Dadurch, dass es so viele Castings gibt und jeder sehen kann, was mit den Kandidaten passiert, denken plötzlich alle: “Ich kann auch mehr werden als andere”, “Ich muss etwas Besonderes machen, ich kann keinen normalen Beruf ausüben.”

ZEIT ONLINE: Dahinter steht ein Leistungsprinzip, das suggeriert: man kann alles schaffen, wenn man nur will. Kann dieser Zweckoptimismus nicht auch positive Auswirkungen haben?

Henning: Ja, das kann er. Aber es kommt ganz auf die Reife desjenigen an, der da drinsteckt. Die Moderatoren machen diese jungen Leute so fertig, das kann wirklich schlimme Folgen haben. Wenn jemand zu unsicher ist, zu naiv, dann geht er aus der Sendung heraus und hat für sein Leben lang eingebläut bekommen: Du bist nichts. Du hast keine Persönlichkeit. So behandelt man keine Menschen.

ZEIT ONLINE: Der Begriff der “Personality” wird bei Germany’s next Topmodel sehr widersprüchlich eingesetzt. Einerseits gibt man vor, Individualität zu fördern, aber wenn jemand zu unangepasst ist, hat er keine Chance.

Henning: 
Bei der letzten Staffel gab es eine Stuntfrau, über die Heidi Klum gleich sagte, sie sei ja ziemlich frech. Das müsste man wohl etwas eindämmen. Diese Shows suchen sich gerade schwache Charaktere heraus. Sie wollen die Mädchen formen können.

ZEIT ONLINE: In Germany’s next Topmodel wird häufig argumentiert, dass man “formbar” sein müsste, um den verschiedenen Model-Rollen entsprechen zu können.

Henning: Das ist Unsinn. Man muss sich in Rollen werfen können, aber sobald man die Rolle verlässt, muss man eine starke, gefestigte Persönlichkeit sein.

ZEIT ONLINE: Was geht in einer jungen Frau vor, wenn sie den typischen Spruch hört: “Sorry, aber du hast leider keine Personality?”

Henning: Das ist furchtbar, bei einem so jungen Menschen mindert es sofort das Selbstwertgefühl. Alle haben einen kleinen Riss im Selbstvertrauen, das fängt schon im Babyalter an. Dieses Gefühl von “ich bin falsch”. Wenn man so etwas gesagt bekommt in einer derart fragilen Situation, vor laufender Kamera, von sogenannten besserwissenden Experten, ist das nicht in Ordnung. So behandelt man keinen Menschen. Die Mädchen, die da stehen, schauen auf zu diesen ‘Juroren’ und denken: das sind meine Vorbilder, das sind Erwachsene. In meinen Augen sind das aber keine vorbildlichen Erwachsene, sondern unreife Menschen, die sich behaupten müssen.

ZEIT ONLINE: Wenn Sie Jurorin in einer Castingshow wären, was würden Sie anders machen?

Henning: 
Ich würde jede Art von Kritik als positives Feedback formulieren. Das lernt man in allen therapeutischen Ausbildungen. Wenn ein Mädchen zum Beispiel über den Laufsteg trampelt, würde ich niemals sagen: “Du läufst wie ein Trampel!” Sondern vielmehr: “Du weißt, es gibt ein paar Richtlinien, wie man läuft und da gibt es noch zwei, drei wichtige Sachen, die du noch lernen kannst.” Und das nicht mit einem überheblichen, sondern mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.”

Die Fragen stellte Carolin Ströbele

Quelle: http://www.zeit.de/lebensart/mode/2010-06/sprache-topmodel-casting-show

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