Die Praxis bleibt voraussichtlich bis Mai 2022 geschlossen.
Bis dahin nehme ich mir auf ärztlichen Rat hin die Zeit, mich von meiner Corona-Infektion zu erholen.

Spiegel online: “Jeder ist für seinen Orgasmus selbst verantwortlich.”

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[pullquote align=”left”]Als das Interview erschien, brach nicht nur so manches System zusammen 😉 Ich bin sehr stolz, eine solch breite Resonanz auf das Interview bekommen zu haben! Danke! – Ann-Marlene[/pullquote]

Wie erreichen Frauen den Höhepunkt? Ist Sex überhaupt wichtig? Die Neuropsychologin und Sexologin Ann-Marlene Henning weiß die Antworten. Im Interview erklärt sie, warum Sex mit Liebe besser ist – und Wilhelm Busch einen hohen Testosteronwert gehabt haben muss.

Diese Frau hat man sich herbei gesehnt, als die Lehrerin damals “Sexualkunde” an die Tafel schrieb und in der Folge unzählige Synonyme für “Sex” verwendete, um mit Jugendjargon zu punkten. Ann-Marlene Henning ist nie betont lässig und kumpelhaft. Sie redet über Sex genauso sachlich wie über akademische Abschlüsse. Sie erklärt Stoßtechniken so selbstverständlich wie Liebeskummer und erläutert den Aufbau der Klitoris, während sie sich ein Abendessen warm macht.

Die Neuropsychologin und Sexologin betreibt eine Praxis für Sexualtherapie und Paartherapie in Hamburg und führt den Aufklärungs-Videoblog doch-noch.tv. Im Mai 2012 veröffentlicht Henning gemeinsam mit der Journalistin Tina Bremer-Olszewski “Make Love” – ein Aufklärungsbuch, “das Jugendliche lieber in ihrem Zimmer verstecken sollten, weil ihre Eltern es auch lesen wollen.”SPIEGEL ONLINE hat Henning gefragt, was “Liebe machen” mit Liebe zu tun hat. Und wie man es besser macht.

[quote style=”1″]Jeder ist für seinen Orgasmus selbst verantwortlich.[/quote]

SPIEGEL ONLINE: Frau Henning, in Ihrem Buch geht es um Sex. Warum haben Sie es “Mach Liebe!” genannt?

Henning: Erfüllender Sex hat immer sowohl eine genitale wie auch eine emotionale Komponente. In unserem Buch beschreiben wir viele Sextechniken, aber es schwingt in jedem Wort Liebe mit: Wahrnehmung von Bedürfnissen, Gefühlen und Grenzen des anderen. Sex ist ein Dialog ohne Worte. Je mehr du spürst, je mehr du den anderen wahrnehmen kannst, desto besser wird es. Das heißt aber nicht, dass man nicht einfach vögeln kann.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie mit Ihren Klienten über ihr Sexleben reden, sprechen Sie da auch von “Liebe machen”?

Henning: Nein, das ist den meisten zu seicht. In Bezug auf Geschlechtsverkehr sage ich meistens “Sex haben”. Aber das ist unterschiedlich. Irgendwann im Gespräch muss man sich mit dem Klienten auf einen Begriff einigen. Am schwierigsten ist es, ein Wort für die weiblichen Geschlechtsorgane zu finden.

SPIEGEL ONLINE: Was sagen Sie dazu?

Henning: Da gibt es in der Tat kein gutes Wort. Die meisten Bezeichnungen sind entweder zu niedlich, zu kleinmädchenhaft oder zu grob. In vielen Sprachen ist das weibliche Geschlecht das schlimmste Schimpfwort, vielleicht weil die Lust der Frau und weibliche Leidenschaft Tabus waren und für einige immer noch mit großer Angst verbunden sind. In der Fachliteratur heißt das innere weibliche Geschlecht Vagina, das außen sichtbare Vulva. Aber das ist im Gespräch zu medizinisch. Heute wird manchmal der Begriff “Yoni” aus dem Tantra verwendet, aber persönlich mag ich das Wort nicht. Ist mir zu esoterisch.

SPIEGEL ONLINE: Was also dann?

Henning: Ich frage die Frauen: Wie wollen wir es denn nennen? Viele reagieren verschämt. Anders als die Jungs, die ihren Penis von Natur aus die ganze Zeit sehen, beschäftigen sich die Mädchen wenig mit ihrem Geschlecht. Von klein auf bekommen sie gesagt: Fass da nicht hin, hör auf, dich dort zu kratzen, schlag deine Beine übereinander. Und so schauen viele Frauen weg. Sie sprechen wenig darüber, und haben auch wenig Ahnung von ihrem Innenleben.

SPIEGEL ONLINE: Auch noch im Jahr 2012?

Henning: Natürlich hat mein Job viel mit Problemfällen zu tun. Es ist trotzdem erschreckend, wie wenig manche Menschen über Sex wissen. Es kommen immer noch 30-Jährige in meine Praxis und erzählen: “Mit mir stimmt etwas nicht. Ich komme nicht beim Geschlechtsverkehr.” Das Sexbild vieler ist von Pornos bestimmt, in denen der Mann nichts anderes tut, als in die Frau zu stoßen und schön kräftig irgendwo rumzurubbeln.

SPIEGEL ONLINE: Können Frauen allein durch Penetration kommen?

Henning: Nur ungefähr ein Fünftel der Frauen können einen Orgasmus durch reinen Geschlechtsverkehr erreichen. Untersuchungen zeigen, dass es vor allem Frauen sind, deren Klitoris nah an der Öffnung der Vagina liegt – nämlich weniger als 2,5 Zentimeter von ihr entfernt. Oft wird zwischen “vaginalem” und “klitoralem” Orgasmus unterschieden, aber so einfach ist es nicht. Die Klitoris ist viel größer als die Perle, die man sieht. Man müsste eigentlich von einem Klitoralkomplex sprechen: An der Oberfläche ist nur die Spitze des Eisberges. Die größeren Anteile sind im Innern verborgen. Orgasmen, bei denen man nur die Klitorisspitze anfasst, sind oft lokaler. Spielt der gesamte innerer Klitoralkomplex mit, verteilt sich der Orgasmus im ganzen Körper. Er ist meist länger und stärker.

SPIEGEL ONLINE: Wovon hängt die Intensität des Orgasmus sonst noch ab?

Henning: Es kommt drauf an, wie gut man die eigene Erregung steuern kann, zum Beispiel über die Atmung und die Muskelspannung. Je mehr man anspannt, desto weniger spürt man. Orgasmus kann man üben wie Klavierspielen oder Fahrradfahren. Erregung ist angeboren, gute Sexualität nicht. Das bringt sich jeder selbst bei – so gut er kann. Frauen wie Männer masturbieren oft angespannt, mit hohem Druck, großer Geschwindigkeit und angehaltener Luft. Dabei sollte man eher wellenförmig zwischen Anspannung und Entspannung abwechseln, tief atmen und mit dem Beckenboden spielen. Jeder soll für sich eine Technik herausfinden, mit der er sich am besten erregt. Jeder ist für seinen Orgasmus selbst verantwortlich.

SPIEGEL ONLINE: Am Anfang haben Sie von Sex als einem Dialog geredet. Gehören da also nicht zwei dazu?

Henning: Natürlich. Aber wie soll der andere mich kennen, wenn ich mich nicht einmal selbst kenne? Es ist wie in der Liebe: Ich muss mich erst selbst mögen, bevor es jemand anderes tut. Und dann kommt es auf die Kommunikation an – dem anderen mit Worten, Bewegungen und Geräuschen zeigen, was dir gefällt. Sex ist eine gute Plattform, Liebe auszuleben, ein Gefühl für den anderen zu entwickeln.

SPIEGEL ONLINE: Ist Liebe ohne diese Plattform möglich? Wilhelm Busch hat gesagt: “Platonische Liebe kommt mir vor wie ein ewiges Zielen und Niemals-Losdrücken.”

Henning: Witzig! Das lag dann bestimmt am hohen Testosteronwert, das kann nur ein Mann sagen! Allein seine Wortwahl: Zielen, losdrücken! Und ja, natürlich ist Liebe ohne Sex möglich! Wir lieben unsere Kinder und Freunde. Und viele Paare, die seit Jahrzehnten zusammen sind, lieben sich sehr – komplett ohne Sex. Wie Liebe ausgelebt wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wenn einer der Partner dem anderen zuliebe auf Sex verzichtet, kann es auch ein Liebesbeweis sein.

SPIEGEL ONLINE: Und trotzdem: Wie wichtig ist Sex für Beziehungen?

Henning: Sex löst Spannungen und kann Nähe und Intimität steigern – wenn er denn gut läuft. Paare, die keinen Sex haben, brauchen andere Wege, um Spannungen abzubauen und streiten oft mehr, weil dieser Ausgleich fehlt. Sexualität hat außerdem eine hohe Gesundheitskomponente: Wer Sex hat, lebt länger und besser. Männer, die oft ejakulieren, leiden seltener an Prostatakrebs und Infarkten. Bei Frauen dagegen kommt es darauf an, wie zufrieden sie mit ihrem Sexleben sind – es wirkt sich stressdämpfend aus und führt zu niedrigeren Brustkrebsraten. Kurz: Sex ist im Allgemeinen gut für die Liebe und auch für das eigene Wohlbefinden. Also hören Sie nie auf damit! Sex ist wie ein Muskel, der muss benutzt werden.

Das Interview führte Wlada Kolosowa

Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/sexologin-spricht-in-interview-ueber-orgasmen-sex-und-liebe-a-817095.html

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Es ist wirklich ganz erstaunlich, was die Menschen noch vor ein paar Jahrzehnten darüber gedacht haben. Aber, selbst heute, im 21sten Jahrhundert gibt es immer noch Aufklärungsbedarf, wie Ann-Marlene aus Ihrer Praxis weiß. Nur nicht in dieser krassen Form. Was uns heute als lebende Satire erscheint war damals, zu Zeiten des Buch Autors, wirklich bitterer Ernst.

Trotzdem: Zurück lehnen, Lachmuskeln aktivieren und staunen wie meist junge Männer unter ihren “unwillkürlichen Pollutionen” gelitten haben …

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