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Deutschlandradio: “Viele spüren einfach nichts!”

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Ein Sexlernbuch für die Generation Porno – Ann-Marlene Henning im Gespräch mit Frank Meyer bei Deutschlandradio Kultur.

Die Jugendlichen heute wüssten zwar ganz viel und hätten schon viel gesehen, aber wie der eigene Körper funktioniert und wie man Erregung und Lust empfindet, das sei ihnen nicht klar, sagt die Sexologin Ann-Marlene Henning. Sie hat deshalb ein etwas anderes Aufklärungsbuch geschrieben.

Hier  nachlesen:

Frank Meyer: Über Sex reden, das fängt ja schon mal mit den Wörtern für die wichtigen Teile an, und im Buch “Make Love” gibt es deshalb eine schöne Wörterliste mit 140 Begriffen, von “Muschi” und “Pussy” bis “Zauberstab” und “Funkturm”. “Make Love” ist ein Aufklärungsbuch von Tina Bremer-Olszewski und von Ann-Marlene Henning, Paartherapeutin und Sexologin in Hamburg, und dort ist sie jetzt für uns im Studio. Willkommen, Frau Henning!

Ann-Marlene Henning: Ja, hi!

Meyer: Das ist ein Buch für Jugendliche, aber sagen Sie, warum braucht denn die Generation Porno überhaupt ein Aufklärungsbuch? Die haben doch angeblich schon alles gesehen, was es so an Stellungen und Möglichkeiten gibt.

Henning: Generation Sehnsucht braucht ein Aufklärungsbuch, weil die sehr viel gesehen haben, was nicht unbedingt der Realität entspricht.

Meyer: Und Sie leisten jetzt Realitätsertüchtigung?

Henning: Ich hoffe, ich hoffe. Ja, die sehen wirklich sehr viel, und das ist alles sehr künstlich und sehr übertrieben, macht viel Druck.

Meyer: Aber es stimmt, dass sich Jugendliche auch nach Ihrer Beobachtung – Sie arbeiten ja auch viel mit Jugendlichen – … die schauen sich das tatsächlich an, Pornos, an die sie rankommen übers Netz?

Henning: Ja, also da gibt es ganz, ganz überzeugende, also ganz deutliche Zahlen: Die schauen es, genau, auch wenn wir es nicht so gerne hören.

Meyer: Und was wissen sie dann tatsächlich über Sexualität, die Jugendlichen?

Henning: Ja, das ist ja die Frage. Sie denken dann, sie wissen ganz viel, aber wie ein Körper funktioniert, wie Erregung funktioniert, Genuss, Spaß haben – das wissen sie nicht. Und sie trauen sich oft nicht zu reden, sie wissen nicht, wer sie selber sind und denken, sie müssen es gar nicht herausfinden, sie müssen nur alles das machen, was sie gesehen haben. So ist man dann. Da wollen wir gerne was anderes versuchen mit unserem Buch.

Meyer: Und warum nennen Sie die Generation Sehnsucht? Haben sie eine besonders starke Sehnsucht? Also Sehnsucht hatten wir doch alle in dem Alter.

Henning: Ja, das stimmt auch, das stimmt auch. Aber stellen Sie sich mal vor, ich kenne ja Ihr Alter jetzt nicht, aber was auf die so einprasselt – das war anders bei uns. Ich werde 48, also wir hatten das alles gar nicht. Und ich glaube, ich höre das von vielen: “Oh nein, nicht schon wieder” – so eine Art Gleichgültigkeit, oder mir ist es zu viel und so, und da fängt es doch dann an, dass was … Da muss es doch noch was geben, die Liebe, Nähe, Freunde, das sehe ich, ich habe auch selber Kinder, ja, ein Kind.

Meyer: Jetzt haben Sie dieses Buch geschrieben und ein Leitsatz, könnte man sagen, für das Buch ist: Sex ist lernbar. Also es ist vielleicht eher ein Sexlernbuch als ein Aufklärungsbuch?

Henning: Ja. Das denke ich, seit einer Woche ungefähr denke ich, eigentlich ja, weil Aufklärung – es ist Aufklärung alles, aber da denken die meisten Menschen irgendwas mit Verhütung und diese, ja, wie funktionieren die Fortpflanzungsorgane und so. Und es ist ja viel mehr. Und das muss man eben erst lernen.

Meyer: Und es geht darum, guten Sex zu lernen in Ihrem Buch.

Henning: Ja.

Meyer: Was ist denn das Wichtigste dafür?

Henning: Ich glaube ja, spüren, dass jeder was spürt, selber, am eigenen Körper, und viele spüren einfach nichts. Ich komme ja überhaupt erst drauf, weil ich mit sehr vielen auch Erwachsenen arbeite in der Praxis, und ja, Frauen kommen und sagen, ja, ich habe zwar vier Kinder, aber ich habe noch nie so richtig was gespürt.

Meyer: Und wie kommt das, was hat das für Gründe?

Henning: Oh, ja, ich höre oft religiöse Gründe, und dann auch: Ich wusste ja gar nicht, dass ich mich so was fragen sollte oder könnte. Irgendwie habe ich noch nie drüber nachgedacht, so in der Art, es ist nicht angesprochen worden.

Meyer: Sich selber spüren heißt ja auch – und auch darüber sprechen Sie öfter in Ihrem Buch -, dass durchaus auch ein, sagen wir mal, gesunder Egoismus wichtig ist, um guten Sex zu haben.

Henning: Ja, genau, genau, es gibt auch viele Leute, die sind nur beim Partner, ich will es ihr so toll wie möglich machen und so, aber Männer, die, als Beispiel jetzt, die sehr bei ihrer Partnerin sind, die sind so sehr wenig manchmal bei sich selber, dass wenn ein bestimmtes Alter erreicht ist, man nicht so bei sich selber ist, der Autopilot Testosteron nicht mehr funktioniert, es dann vielleicht eine Erektionsstörung gibt, weil man nicht erregt genug ist.

Meyer: Sie schreiben am Anfang Ihres Buches, das ist eigentlich das Eingangskapitel nach der Einführung, sehr viel über Selbstbefriedigung. Warum? Weil man nur guten Sex zu zweit haben kann, wenn man auch guten Sex mit sich alleine hat?

Henning: Ja, also ich glaube wirklich ja. Wenn wir jetzt wieder die Frauen nehmen zum Beispiel, die fassen sich einfach weniger an als Männer, da ist ja auch alles nicht so … hängt ja nicht so rum, wenn ich das so sagen darf, und da kann man sehr gut vermeiden, sich anzufassen. Und dann geht man so in die Sexualität und kennt sich nicht. Und das sagen einfach ganz viele, das ist sehr, sehr klar an der Praxis, dass ich da immer anfangen muss, dass die Frauen sich selbst kennenlernen. Sie kennen ja ihre eigenen Organe noch nicht mal. Wie soll dann da was im Gehirn ankommen, wenn man noch nicht mal weiß, dass man da was hat?

Meyer: Wie ist das denn, wenn Sie das jetzt Jugendlichen vorschlagen sozusagen als Einführung in die Sexualität, beschäftigt euch erst mal mit euch selbst – wie reagieren die da drauf?

Henning: Also die meisten machen das ohnehin, also das stelle ich in der Praxis fest, das sind eher die Älteren, die es nicht machen. Jugendliche heutzutage fassen sich schon eher an. Aber sie haben öfter, die Frauen haben öfter Probleme damit, dass ihre Jungs das machen, und zwar mit dem Bildschirm, der da immer davor ist, während der Junge es macht. Die haben gewissermaßen auch vielleicht Recht, weil ungünstige Muster dadurch eingeübt werden.

Meyer: Wie differenzieren Sie denn da? Gibt es dann gute und schlechte Selbstbefriedigung?

Henning: Nein, nicht gut und schlecht, würde ich sagen, weil das ist ja wie es sich anfühlt für den Einzelnen, aber es gibt bestimmte Arten oder Techniken, die man sich zulegen kann, mit sehr, sehr eng sitzen, wenig atmen, viel anspannen – die sind dann ungünstig später beim Geschlechtsverkehr mit einem Partner, weil man dann zu früh kommt oder … das war ein Beispiel jetzt, aber es gibt Arten, die funktionieren dann nicht so gut beim Sex zu zweit.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit der Sexologin Ann-Marlene Henning über ihr Aufklärungsbuch “Make Love”, und es gibt eine Botschaft, die Ihnen offenbar auch ganz wichtig ist, nämlich: Wenn ihr Sex habt miteinander, dann redet auch miteinander, und redet über euren Sex. Warum finden Sie das so wichtig?

Henning: Ja, also reden – es müssen nicht immer Worte sein, es geht nur darum: Man kann … Der andere liebt es doch, wenn man den Genuss des Partners sieht. Das sagen auch ganz viele in der Praxis. Ach, ich würde mir so wünschen, dass meine Frau … dass ich sehen könnte, wie es ihr … dass sie Lust hat und so. Oft ist es so rum, aber es gibt auch Männer, die nicht stöhnen und nichts sagen. Aber reden bedeutet für mich auch manchmal eine Hand wegnehmen oder eine Hand wohin drücken, oder vielleicht nur mit einem Stöhner oder einer Atmung zeigen, dass es gerade ganz toll ist. Das ist eine Art Kommunikation. Es können auch Worte sein.

Meyer: Worte gibt es natürlich viele in Ihrem Buch, aber es gibt auch anderes, nämlich Fotos, die eine wichtige Rolle spielen, Fotos von Hejy Shin. Die Fotos zeigen echte Paare, echte Jugendliche, und die Fotos zeigen auch echten Sex zwischen diesen echten Jugendlichen.

Henning: Ja.

Meyer: Sie setzen sich ja mit Pornografie auch auseinander in Ihrem Buch. Diese Fotos – sind auch Pornografie, sind keine Pornografie?

Henning: Nein, also ja, ich kenne natürlich die Frage schon, das sagen sehr viele, ich glaube aus Angst heraus. Ich möchte das gerne deutlich sagen: Pornos werden gedreht mit einer bestimmten Absicht, nämlich zu erregen, mit Geschlechtsorganen im Mittelpunkt als Thema, und so sind unser, unser … sind nicht deswegen so gemacht. Und es wurde auch oft unterbrochen bei den Fotos, weil einfach an dem Tag nichts ging oder das nicht intim wurde und dann, ja, macht doch nichts, und einen neuen Versuch.

Aber klar kann man behaupten, die sind … ja, Porno, finde ich, kann man wirklich nicht behaupten, aber man kann behaupten, dass sie grenzüberschreitend sind für einige. Und ich glaube, die meisten Leute haben nur Angst, weil die Kinder haben längst schon mehr gesehen als solche liebevollen Bilder.

Meyer: Ihr Buch ist ziemlich gut angekommen, muss man sagen, in den Medien auf jeden Fall. Haben Sie schon Reaktionen von den Lesern, auf die es ja eigentlich ankommt, den Jugendlichen? Was sagen die dazu?

Henning: Ja, ich habe zum Beispiel einige Therapeuten, Erwachsene, die das lesen natürlich, und die sagen dann zum Beispiel: Na ja, ich war in Spanien mit vier Kindern, und dann war das Buch irgendwie weg. Ich muss zugeben, dass ich es noch nicht gelesen habe, sagte einer.

Meyer: Weil die Kinder sich das gekrallt haben.

Henning: So ist das. Und das höre ich öfter, oder ja, positive … Erst mal so, nö, und dann ist das Buch weg. Das finde ich ganz toll, freut mich sehr.

Meyer: Also gibt es offenbar eine große Neugier auf dieses Buch.

Henning: Ja, ich glaube ja.

Meyer: Ann-Marlene Henning hat gemeinsam mit Tina Bremer-Olszewski das Buch “Make Love” geschrieben, Heji Shin hat die Fotos dafür gemacht, das Buch ist im Rogner & Bernhard Verlag erschienen mit 260 Seiten, zum Preis von 22,95 Euro zu haben. Frau Henning, vielen Dank für das Gespräch!

Henning: Ja, vielen Dank auch!

Quelle: Deutschlandradio Kultur, 20. Juli 2012

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