Ann-Marlene Henning redet gerne über Sex, hat gerne Sex und verdient nun auch ihr Geld mit diesem Thema: Sie ist Sexologin – Teil 7 der UniSPIEGEL Serie über ungewöhnliche Berufe.
“Die Missionarstellung ist besser als ihr Ruf”, “Dildos sind Vibratoren vorzuziehen”, “Wer sein Rohr häufiger durchpustet, lebt länger” – so spricht Ann-Marlene Henning, wenn sie auf ihrer Internetseite Sexualkundeunterricht gibt. Verrucht klingt das nicht. Die 47-Jährige wirkt auf dem Bildschirm eher wie eine gute Freundin mit großem Wissensvorsprung in Sachen Liebe. Und den hat sie auch. “Erstens habe ich schon immer viel über Sex gesprochen”, sagt sie. Und zweitens hat sie dieses Hobby zum Beruf gemacht. Ann-Marlene Henning ist Sexologin.
Die Berufsbezeichnung mag sich anhören wie die Erfindung eines Pornofilm-Regisseurs. Doch der Job als Sexologe erfordert eine lange Ausbildung und wird immer beliebter. Als Henning 2007 ihre Praxis für “Beratung in Fragen zu Beziehung und Sexualität” im feinen Hamburger Stadtteil Eppendorf eröffnete, war sie eine der Ersten auf dem deutschen Markt; mittlerweile, sagt sie, böten allein in der Hansestadt etwa zehn Sexologen ihre Dienste an. “Es ist ein Beruf, der gebraucht wird”, glaubt Henning.
Eine Sexologin verschreibt keine blauen Pillen, sie führt auch keine medizinischen Untersuchungen durch. Ihr Heilmittel ist das Wort. “Wie befriedigst du dich selbst?” lautet zum Beispiel eine der ersten Fragen, die Henning ihren Patienten am Anfang einer Therapiesitzung stellt.
Die Wände in Hennings Beratungszimmer leuchten in einem kräftigen Rot. Ein großes antikes Sofa mit kleinen Kissen darauf bringt Ruhe in den Raum. Die Klienten sollen sich wohlfühlen bei den rund einstündigen Gesprächen. Sie drehen sich um Eifersucht und Kontrolle, unerfüllte Liebe und Sehnsüchte, Abhängigkeit und Untreue, Normalität und Perversion. Patienten berichten Henning von ihrer Vorliebe für Schweißfüße in Lackschuhen, klagen darüber, dass ihr Partner heimlich onaniert, oder berichten schlicht über ihre mangelnde Libido.
Neben dem Regal voller Buchrücken mit Titeln, in denen meist die Wörter “Sex” und “Liebe” auftauchen, hängt ein Poster, das einen Querschnitt des menschlichen Gehirns zeigt. Hennings Ansatzpunkt für jede Therapie: “Das menschliche Gehirn ist das größte Geschlechtsorgan.” Und: “Erregung ist angeboren, Sexualität muss gelernt werden.” Notfalls mit Plüschvagina und Gummipenis. Die lagern im Holzschrank unter dem Bücherregal.
Als Sex-Coach oder Sex-Berater darf in Deutschland jeder arbeiten, der sich das entsprechende Klingelschild neben die Tür hängt. Anerkannter Sexualtherapeut kann allerdings nur der werden, der eine Ausbildung zum ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten hat. In Deutschland bieten unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung und das Institut für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexologie in Hannover eine Weiterbildung an. Fachärzte können an den Universitätskliniken Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel eine sexualmedizinische Fortbildung machen.
Henning wählte einen anderen Weg. Sie kam als 21-Jährige von Dänemark nach Deutschland, arbeitete als Model in Hamburg und studierte parallel Neuropsychologie. An einen Job als Sexologin dachte sie damals noch nicht, doch dann rief eine Freundin aus Kopenhagen an. Die junge Frau war zufällig am dortigen Joan-Ørting-Institut für Sexologie vorbeigelaufen und hatte eine Idee: “Sexberaterin, das wäre doch was für dich”, sagte sie. Henning war derselben Meinung – und machte ernst. Ihre Weiterbildung zur Sexologin dauerte zwei Jahre, außerdem machte sie noch eine Ausbildung zur Paartherapeutin.
Wer in dem Job Erfolg haben will, “muss sich was trauen”, sagt Henning. “Man muss Dinge benennen, Konfliktthemen aushalten und Abwehrhaltungen aufbrechen können.” Wichtig sei auch die Fähigkeit, Grenzen zu ziehen. Vor allem, wenn es in den Therapiesitzungen um so ernste Dinge wie Missbrauch geht. Da muss man aufpassen, die Probleme der anderen nicht mit nach Hause zu nehmen, zumal wenn das Zuhause, wie in Hennings Fall, auch räumlich so nah bei der Praxis liegt: im selben Haus.
Es ist ein sehr ernstes Anliegen, das Henning mit ihrer Arbeit verfolgt: “Der menschlichen Sexualität muss mehr Bedeutung in Gesellschaft und Bildung zukommen”, sagt sie. In Deutschland, hat sie festgestellt, gehen die Menschen viel verklemmter mit dem Thema Sex um als in Skandinavien. Die Sprachlosigkeit in deutschen Schlafzimmern sorgt für Frust im Bett, kann zu großer Lustlosigkeit führen und letztlich sogar das Ende einer Beziehung bedeuten. Henning will Menschen dabei helfen, Sex wieder schwerelos zu machen.
Dazu gehört das unverklemmte Sprechen darüber, auch wenn es manchmal wirkt wie ein verbaler Tabubruch, wenn die attraktive Dänin in einem ihrer Aufklärungsvideos im Internet fordernd in die Kamera blickt und fragt “Wie stößt du deinen Penis rein?”, um anschließend über das “total unterschätzte Thema” Stoßtechniken bei Männern zu sprechen.
“Viele Deutsche rümpfen die Nase, wenn es um Sex geht”, konstatiert Henning. “Sexologie” klinge in Deutschland anrüchig, in Dänemark sei der Job so normal wie der eines Zahnarztes. Wenn sie hierzulande auf Partys von ihrem Beruf erzählt, zieht Henning häufig schräge Blicke auf sich. Ihr Ex-Mann, ein angesehener Arzt, hat einmal einen anonymen Brief erhalten: “Wie kommt ein Facharzt wie Sie bloß zu so einer unpassenden Frau?”, stand darin. Man merkt, wie sehr Ann-Marlene Henning der Satz geärgert hat.
Den meisten Vorurteilen gegenüber ihrer Arbeit begegnet die Sexologin mit Humor: “Viele Leute denken, Männer haben Angst, mit mir zu schlafen.” Sie macht eine kurze Pause. “Das stimmt auch. Zum Glück habe ich einen festen Partner, mit dem ich viel Sex habe.” Viel Sex, auch das gehört zur Arbeit einer Sexologin: “Ich muss doch wissen, von was ich rede.”
UNISPIEGEL 02-2012, Interview geführt von Anna von Kistner
Quellen:
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,827083,00.html